Sonntag, 4. November 2012

Roger Smith: "Stiller Tod"

Vor ca. zwei Wochen erschien mit „Stiller Tod“ (Originaltitel: „Capture“) der neuste Thriller von Roger Smith, dem angeblich „härtesten Thrillerautor aus Südafrika“. Allerdings fallen mir nun gar keine anderen südafrikanischen Thrillerautoren ein, von daher masse ich es mir auch nicht an zu beurteilen, ob Roger Smith tatsächlich der härteste Thriller-Autor Südafrikas ist.
Zudem ist „Stiller Tod“ nun tatsächlich der erste Roman von Roger Smith, den ich überhaupt gelesen habe, aber um einen Teil meines Fazits gleich vorwegzunehmen: ich denke nicht, dass dies mein einziger gelesener Roger-Smith-Roman bleiben wird, denn „Stiller Tod“ hat mich durchaus überzeugt.


„Stiller Tod“: wann ist ein Mord ein Mord?


Vernon Sauls, ein traumatisierter, psychopathischer und skrupelloser Ex-Cop, der nun als Wachmann durch eine reiche Kapstadter Siedlung patroulliert, beobachtet, wie die vierjährige Sunny Exley ertrinkt: währenddessen kifft ihr Vater Nick gemeinsam mit einem Bekannten, während ihre Mutter Caroline in der Küche fremdgeht. Doch Vernon greift nicht ein; erst als das tote Mädchen von seinem Vater aus den Fluten gezogen worden ist, sprintet er hinab zum Strand und versucht das Kind, von dem er weiss, dass es längst tot ist, wiederzubeleben. Und schon ist er ins Leben von Nick Exley eingedrungen…

Die Ehe der Exleys wurde ohnehin nur noch durch die Tochter zusammengehalten; die Mutter war zuvor schon lange Zeit in therapeutischer Behandlung… Als sie nun noch aufhört, ihre Medikamente einzunehmen, dreht sie allmählich vollends durch…
Nach Sunnys Tod ist die Beziehung zwischen Nick und Caroline von nervenaufreibenden und zermürbenden Vorwürfen geprägt.

Vernon spielt sich gegenüber Nick als hilfreiche Stütze auf und doch geht es ihm nur um das Gefühl von Macht: er versucht, Nick zu manipulieren, wo es nur möglich ist – so wie er es auch bei der alleinerziehenden Stripperin Dawn tut, die ehemals drogenabhängig war, und nur dank Vernons Intervention nun noch das Sorgerecht für ihre kleine Tochter hat. Auch sie wird von Vernon nicht losgelassen… Sogar seine eigene Mutter behandelt er wie eine Leibeigene.

Aber ein Ex-Kollege, der sich sicher ist, aber keine handfesten Beweise dafür hat, dass Vernon bereits während seiner aktiven Zeit als Polizist unsauber gearbeitet und beispielsweise illegale Deals abgeschlossen hat, ist nun bei der Polizei aufgestiegen und ist fest entschlossen, Vernon hinter Gitter zu bringen. Und dass Vernon als „Ersthelfer“ bei Nicks Kind gewesen ist, kommt ihm schon recht spanisch vor – und dann begeht Nick einen folgenschweren Fehler, der Vernon noch mehr Macht über ihn gewinnen lässt…

„Stiller Tod“ – Latti hat`s gelesen!

„Stiller Tod“ ist der eindrücklichste Thriller, den ich seit Langem gelesen habe – aber zugleich auch der Bestürzendste. Beim Lesen verspürte ich einen ständigen Mix aus Faszination, Widerwillen und Ekel, aber auch Verständnis.

Vernon Saul ist ein Schwein, definitiv: nach dem ersten Kapitel habe ich ihn gehasst. Er hatte verloren, nachdem er das Ertrinken eines Menschen regungslos beobachtet hatte – da half es später auch nicht, dass Vernon offensichtlich ständig von bösen Kindheitserinnerungen verfolgt wurde. Noch mehr hasste ich ihn, als er später nicht reagierte, nachdem man ihn darauf aufmerksam machte, dass einem Kind in seiner direkten Umgebung dasselbe Leid angetan wurde, was ihm in der Kindheit zugefügt wurde: hier hatte ich gehofft, dass der Böse nun endlich zum Guten werden würde…
Diese Frage beschäftigte mich während des ganzen Romans: wo soll diese Geschichte hinführen, wie soll das denn enden?

Ich hoffte ständig auf ein vergleichsweise glückliches Ende, hatte dabei aber immer das Gefühl, dass diese Erzählung niemals ein gutes Ende finden könnte. Vernon Saul gehört zu den (Roman)Figuren, die über Leichen gehen und man ist sich als Leser bewusst: entweder wird es wohl a) so weitergehen, b) jemand bringt ihn um oder c) er begeht irgendwann einen Fehler, der tatsächlich zur Verurteilung plus Haftstrafe führt.

Dass er unglaublichen Einfluss auf Nick oder auch die Stripperin und frühere Prostituierte Dawn hat, wurde ständig deutlich: häufig gab es Szenerien, in denen man dachte, Nick/Dawn solle doch einfach gehen bzw. bei der Polizei die gegen Vernon sprechende Wahrheit aussagen, aber Vernon überzeugte sie immer davon, dass es ihm ein Leichtes wäre, das Gegenteil glaubhaft darzulegen und sich als unschuldiges Opferlamm zu präsentieren… Dabei waren die Argumente durchaus in sich schlüssig, wobei ihm aber auch zu Gute kam, dass sowohl Nick als auch Dawn psychisch absolut labil waren. Aber auch bei stärkeren Personen fackelte Vernon hier nicht lange und räumte diese einfach aus dem Weg: dabei hatte er immer jemanden, der als mutmasslicher Mörder präsentiert werden konnte…

„Stiller Tod“ beinhaltete sehr viele Todesfälle; letztlich machte einen grossen Teil der Spannung die Frage aus, wer von den Figuren letztlich überlebt oder ob in einem dramatischen showdown letztlich nicht einfach alles explodieren würde oder Ähnliches.

Ich hatte beim Lesen immer ein recht ungutes Gefühl; die Erzählung war auf unangenehme Weise berührend und teils fühlte es sich an als würde sie die niederen Instinkte in einem ansprechen: neben zig Toten gab es hier auch eine entsprechende Anzahl Verbrechen und irgendwann begann ich die Tötungsdelikte quasi in „gute Morde“, „Böse Morde“ und „Zufallsmorde“ aufzuteilen. Gute Morde… erschreckend.

Aber hier wurde auch der Unterschied zwischen den ärmsten und den reichsten Siedlungen in Kapstadt deutlich: während Todesfälle unter den Reichen gleich enorme Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist auch der wüsteste Bandenkrieg mit zig Toten nicht von Belang. An diesem Punkt wurde „Stiller Tod“ durch Vernons ständiges Pendeln zwischen seiner armen Heimatgegend und der exklusiven Wohngegend der Exleys fast schon ein wenig gesellschaftskritisch.

„Stiller Tod“ ist ein sehr unruhiger und bedrückender Roman, den ich weniger als Thriller als durch Vernon Sauls ständige psychische Beeinflussung eher als Psychodrama empfunden habe. Auch nach dem Auslesen des Romans habe ich mich noch lange mit der Frage beschäftigt, ob Vernon Saul hier nun eigentlich der einzige Täter war oder ob andere Figuren aufgrund ihrer eigenen Taten ihm nicht gleichgestellt werden müssten, obschon Vernon einen gewissen Zwang auf sie ausübte. Immerhin sind sympathischere Menschen ja nicht unbedingt die unschuldigeren Menschen, aber dennoch das Gefühl blieb: dass die Anderen ohne Vernons Beeinflussung und seine Instruktionen sich niemals so verhalten hätten, wie sie es letztlich taten. Oder etwa doch?

Zweifelsohne ist „Stiller Tod“ ein sehr lesenswerter Roman, wobei ich nicht behaupten möchte, dass ich ihn ausschliesslich gern gelesen habe: dazu gab es doch einige sehr erschreckende und auch schreckliche, brutale Momente, für die ich „Stiller Tod“ mitunter auch zutiefst verachtet habe.
Definitiv ein Roman für alle, die tiefgründige und wirklich rabenschwarze Geschichten voller Bösem mögen!

Von mir: 9 von 10 Rauschmitteln! 

Buch-Info

„Stiller Tod“, Roger Smith  / Carlsen / ISBN-10: 3608501320 / ISBN-13: 978-3608501322 / 380 Seiten / 19,95€ (gebundenes Buch) / ebook-Preis: 14,99€
Preise (vom 04.11.2012) in der Schweiz: ex libris – CHF 24,85 (Printbuch); CHF 16,90 (ebook) / Thalia – CHF 27,90 (Printbuch); CHF 17,90 (ebook) / Weltbild – CHF 28,90 (Printbuch); CHF 18,90 (ebook)

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