Mittwoch, 3. April 2013

"3 und raus": Suizid auf Britisch

Eigentlich schmökere ich abends vor dem Schlafengehen gerne noch etwas, während Punti, bevor er die Äuglein schliesst, gerne noch einen Film anschaut. Vor ein paar Tagen war ich nun auch eher in Film-Stimmung und habe mir gewünscht, „3 und raus“ anzusehen, einen Film aus unserer Sammlung, den wir beide noch nicht kannten.

„3 und raus“ ist ein britischer Film; gespickt mit dem entsprechenden Humor; und erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen einem U-Bahn-Fahrer und (s)einem potentiellen Selbstmörder. Klingt schräg? Ist auch schräg – und vor Allem: absolut sehenswert!

„3 und raus“ - Selbstmörder in spe verzweifelt gesucht

Paul Callow ist unglücklicher U-Bahn-Führer in London, der eine schriftstellerische Karriere anstrebt und
von einem abgelegenen Häuschen auf dem Lande träumt, welches allerdings auch erst bezahlt werden müsste... Innerhalb weniger Tage überfährt Paul jedoch zwei Menschen mit seinem Zug und seine Kollegen erzählen ihm, dass Zugführer, die innerhalb eines Monats drei Menschen überfahren, freigestellt bzw. in Pension geschickt und ausbezahlt werden (zehn Jahresgehälter!), da in diesem Fall davon auszugehen ist, dass sie zu traumatisiert sind als dass sie noch weiter in ihrem Job arbeiten können.
Auch nach dem dritten Vorfall hat Paul allerdings eine Woche Sonderurlaub bekommen: erst am Montag muss er wieder arbeiten – und am Dienstag ist der „Todesmonat“ um...
Aber Paul wittert seine grosse Chance: schliesslich bringen sich regelmässig Menschen um und eigentlich muss er doch nur eine lebensmüde Person finden, die sich bereiterklärt, ihren Suizid auf Montag und vor Pauls Zug zu verlegen. Auf einer als Selbstmörder-Brücke verschrieenen Überquerung trifft er tatsächlich auf Tommy Cassidy, der sich gerade hinabstürzen will und sich schlussendlich bereiterklärt, sich doch erst am Montag vor Pauls Zug zu schmeissen.
Die Zeit bis dahin will er noch für einige Erledigungen nutzen, wie z.B. sich mit Frau und Tochter auszusöhnen, welche er vor Jahren hat sitzenlassen und weil Paul befürchtet, Tommy könnte sich das mit dem vor-seinen-Zug-werfen nochmals überlegen, begleitet er Tommy kurzerhand auf der mutmasslich letzten Reise dessen Lebens...

„3 und raus“: Latti hat`s gesehen

Anfangs das grosse Entsetzen: Selbstmörder-Suche als witziger Film aufbereitet? Das tragische Erlebnis von zwei überfahrenen Menschen als Chance zur Selbstverwirklichung? Sollte man nicht eher vermitteln: „Wenn du dich umbringen willst: gut. Aber zieh da keine fremden Leute mit hinein; schmeiss dich vor keinen Zug, konfrontier keinen Lokführer mit deinen sich auf seiner Windschutzscheibe verteilenden Gedärmen!“?
Ja, „3 und raus“ klingt zunächst sehr böse, sehr gleichgültig dem Leben gegenüber, sehr frustriert, aber: Paul ist tatsächlich kein glücklicher Mensch (dennoch ist nicht er es, der Todessehnsüchte hegt) und in seinem Fall beteiligt ihn auch kein Selbstmörder ungewollt an seinem Freitod, denn hier ist es ja Paul, der den Suizidanten unbedingt davon überzeugen will, sich von ihm überfahren zu lassen.
Die beiden Menschen, die Paul zuvor bereits überfahren hat, waren übrigens keine Selbstmörder: einer ist schlicht verunfallt und der Andere ist am Rande des Bahnsteiges tot zusammengebrochen und dabei nach vorne auf die Gleise gestürzt.
Paul hat also bislang noch nie erlebt, wie es ist, wenn sich jemand bewusst vor seinen Zug wirft – und im Verlaufe des Wochenendes mit Tommy beschleicht ihn auch ein immer schlechteres Gefühl, wenn er daran denkt, dass er Tommy bewusst überfahren soll, nicht zuletzt, da sich zwischen Tommy und ihm eine merkwürdige Zweckfreundschaft entwickelt.

„3 und raus“ beginnt sehr schwarz, sehr britisch: der Beginn ist sehr skurril und der Film bietet einige schräge Momente (als Paul z.B. auf der Suche nach einem Selbstmörder einen älteren Mann anspricht, der sein Leben doch ohnehin schon gelebt hätte). Zumindest der Anfang ist doch sehr „britische Komödie“, aber je weiter sich Paul und Tommy von London entfernen bzw. je weiter sie in das längst tommy-freie Leben von dessen Familie eindringen, desto ruhiger wird der Film. Hier wird die Komödie vom Tragik-Drama verdrängt und die humoristischen Szenen werden deutlich minimiert.
Nun kristallisiert sich auch langsam heraus, warum Tommy aus dem Leben scheiden will.

Was mir an „3 und raus“ gefallen hat: Selbstmord wird hier prinzipiell keinerlei Wertung unterzogen, sondern als freie Willensentscheidung des Selbsttötenden skizziert. Es wird nicht lamentiert, dass das Leben doch schön sei, dass es immer eine Lösung gäbe, dass man das denen, die zurückbleiben, doch nicht antun könne... Im Gegenteil macht Tommy sehr deutlich, dass er diese Entscheidung, nun sterben zu wollen, sehr bewusst und nicht aus einer Depression heraus getroffen hat.
Mich bestätigte dieser Film nun aber ohnehin in meinen Ansichten: hier in der Schweiz wird Sterbehilfe ja doch freier gehandhabt als in Deutschland und nicht zuletzt, seit ich einige Angehörige (man kann es nicht anders sagen) habe elendiglich krepieren sehen, bin ich ohnehin Verfechterin des selbstbestimmten Sterbens.
Wer allerdings gegenteiliger Meinung und absolut kontra Selbsttötung ist, der wird sich mit „3 und raus“ wohl doch etwas schwerer tun, ebenso wie sich Paul immer schwerer mit dem Gedanken tut, Tommy bei seinem Freitod zu unterstützen. Grade zum Ende de Filmes hin, welches ich hier nicht vorwegnehmen kann/will, wird dieser schwelende Gewissenskonflikt immer deutlicher.

Aber wie gesagt: letztlich wird Suizid weder direkt bejaht noch verneint. Bejaht wird lediglich Freundschaft, Unterstützung und Verständnis, ebenso wie die freie Willensentscheidung, was „3 und raus“ nun aber nicht zu einem „Hurra, pro Selbstmord!“-Film macht. Die Frühpensionierung wird letztlich zum Nebenthema; für Paul viel wichtiger ist schlussendlich die Frage: kann er Tommy tatsächlich töten, wie es dessen Wunsch ist und wie es anfangs doch auch sein Plan war oder wird er von seinem moralischen Empfinden eingeholt, welches ihn inzwischen fühlen lässt, dass es falsch sein könnte, bei einem Suizid Unterstützung zu leisten? So bleibt man auch als Zuschauer mit der Frage zurück: wenn jemand, der dir wichtig ist, bittet, ihn beim selbstbestimmten Tod zu unterstützen, machst du mit?

Obschon „3 und raus“ später einen solchen Ernst entwickelt, bleibt der Film doch sehr unterhaltsam und bietet auch zum Schluss hin noch einige kleine Lacher. Aber während man anfangs noch lauthals lachte, weil einem Paul und seine Bemühungen so durchgeknallt erschienen, lacht man am Ende eher verhalten darüber, dass das Leben allgemein doch ziemlich verrückt ist.

Bei diversen Independent Film Festivals hat „3 und raus“ doch einige Auszeichnungen eingeheimst, die der Film zweifelsohne auch verdient hat, nicht zuletzt wegen den hervorragenden Darstellern.

Die Schauspieler

Mackenzie Crook spielte Paul Callow

Mackenzie Crook kennt man unter Anderem als leicht debilen Piraten Ragetti aus „Fluch der Karibik“. Mackenzie Crook ist ein ziemlich schmächtiger Schauspieler, den man abwechselnd füttern und mal raus an die frische Luft stellen will (damit er mal ein bisschen Farbe bekommt). Für den in sich gekehrten, unscheinbaren Paul war er schon rein optisch eine Idealbesetzung.
Er hat Paul auch weniger gespielt, sondern ist vielmehr Paul gewesen. Absolut glaubwürdig, vollkommen authentisch und irgendwie liebenswert verzweifelt.

Colm Meany spielte Tommy Cassidy

Colm Meany ist ohnehin einer meiner liebsten Schauspieler und insbesondere sämtliche britischen Filme, in denen dieser irische Schauspieler mitspielt, bekommen von mir von vornherein schon den Stempel: „muss wohl gut sein“.
Colm Meany blüht als Tommy Cassidy auf: vom grantigen Penner auf der Selbstmörderbrücke entwickelt sich Tommy merklich zu dem gestandenen Mann zurück, der er vermutlich dereinst war und der jetzt allerdings deutlich mehr in sich ruht. Ohnehin scheint Tommy, je näher sein geplanter Tod rückt, immer mehr inneren Frieden zu finden. Colm Meany liess Tommy Cassidy schlussendlich von innen heraus quasi strahlen, während zu Beginn doch eher muffelte.

Imelda Staunton spielte Rosemary Cassidy

Auf die „3 und raus“-Besetzung bezogen ist Imelda Staunton bis heute sicherlich die renommierteste Schauspielerin und in „3 und raus“ hatte sie auch die mit Abstand ernsteste Rolle. Denn Rosemary Cassidy war in diesem skurrilen Spiel die „normalste“ Figur: eine Frau, die sich, nachdem sie von ihrem Mann verlassen wurde, zusammen mit der Tochter ein komplett neues Leben aufgebaut hatte und von ihren Erfahrungen geerdet worden zu sein schien. Rosemary ist mit ihrem jetzigen Leben sehr zufrieden, eine sehr ruhige bewusste Frau, die in ihrem tiefsten Inneren aber immer noch voller Enttäuschung und Wut auf Tommy ist.
Imelda Stanton zeigte eine Rosemary, in deren Innerem es brodelt, die aber versucht, Gelassenheit und vor Allem auch Gleichgültigkeit gegenüber Tommy zu demonstrieren.

Gemma Arteron spielte Frances „Frankie“ Cassidy

Inzwischen ist der Name Gemma Arterton wohl weithin bekannt: Rollen in „Kampf der Titanen“ und „Prince of Persia“, Bond-Girl Strawberry Fields in „Ein Quantum Trost“ und aktuell die weibliche Hauptrolle in „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“.
Die Rolle in „3 und raus“ zählte zu ihren ersten Filmrollen: als ihr Vater sie verliess, hat die rebellische Frankie offensichtlich beschlossen, ihn fortan zu hassen und so straft sie ihn auch später mit Verachtung, obwohl man ihr deutlich anmerkt, dass sie ihn vermisst.
Während der in London lebende Paul dort komplett verloren wirkt und sich nach ländlicher Idylle sehnt, erscheint Frances in ihrer idyllischen Wohngegend fehl am Platz, obschon sie dort sehr eingegliedert zu sein scheint. So sind beide Figuren ein wenig verloren: Frankie in sich und Paul in der Grossstadt.
Ich habe mich letztlich über jede Szene mit Gemma Arterton gefreut, weil sie doch die Figur verkörperte, die hier am Lebendigsten zu sein schien und somit eine gewisse Unbeschwertheit vermittelte.

Auch die weiteren Rollen wurden allesamt von bekannteren, britischen Schauspielern besetzt: einige sind weltweit durch diverse Filmrollen bekannt, während Andere hauptsächlich durch Fernsehserien und Co. in Grossbritannien ein bekanntes Gesicht besitzen.
In jedem Fall lässt sich aber sagen, dass bei „3 und raus“ schon die Namen auf der Besetzungsliste eine gewisse Qualität versprechen.

Alles in Allem..

... hat mir „3 und raus“ sehr gut gefallen; eigentlich war es sogar der beste Film, den ich in letzter Zeit gesehen habe. Via MyVideo kann man „3 und raus“ zumindest derzeit komplett gratis ansehen, aber ansonsten erhält man für kleines Geld auch schon die sehr sehenswerte „3 und raus“-DVD.
Natürlich empfehle ich dieses kleine Highlight britischer Filmkunst weiter, und zwar mit

9,5 von 10 Rauschmitteln  



3 und raus! - MyVideo Schweiz

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